Neuer Ärger bei Netto
Lohnbetrug, unbezahlte Arbeitszeit und sogar systematisches Mobbing werfen aktuelle und ehemalige Beschäftigte in Göttingen dem Marken-Discounter Netto vor. Wegen der vermeidlich schlimmen Zustände demonstrierten sie am Samstag vor einer Filiale ihres Arbeitgebers in der Universitätsstadt. Auch der Oberbürgermeister aus Göttingen, weitere Politiker und Vertreter der Gewerkschaft Verd.i unterstützten den Protest berichtet HNA.de.
Dabei zahlt Deutschlands drittgrößter Discounter seit dem 1. April einen internen Mindestlohn pro Stunde von 7,5 EUR. Schließlich habe "ein partnerschaftliches Verhältnis" zu den Mitarbeitern "oberste Priorität", wird Netto-Chef Franz Pröls vom Online-Portal der Wirtschaftswoche zitiert.
Ist der öffentliche Protest in Göttingen also überzogen oder bezieht sich nur auf einen Ausnahmefall? Es lohnt ein Blick in die Medienberichterstattung der letzten Zeit zur Edeka-Tochter Netto:
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Entlohnung nach falschen Tarif?
Laut Gewerkschaftern unterläuft Netto nämlich systematisch die neuen Tarifbestimmungen, schreibt die tageszeitung (taz) vor wenigen Tagen. Vielen Beschäftigten würden inzwischen zwar 13 EUR zustehen, oftmals aber aber nur den Mindestlohn erhalten.
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Überstunden und Schikane mit System?
Auch hinsichtlich der Arbeitszeit berichtet die taz von schweren Verfehlungen. Die Arbeitszeit vor und nach Ladenschluss würde nicht bezahlt, "Wir haben alle Unmengen an Überstunden" urteilt eine Netto-Angestellte, viele würden sich nicht trauen Pausen zu nehmen.
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Manipulation von Betriebsratswahlen?
Gewerkschafter warfen Netto zu Jahresbeginn vor, dass Führungskräfte in den Betriebsratsregionen "Ost" sowie im bayrischen Ponholz versucht hätten, die Betriebsratswahlen im Mai 2010 zu manipulieren. Rund 20.000 Mitarbeiter wären betroffen gewesen. Mitarbeiter seien unter Druck gesetzt worden an "der richtigen Stelle" ihr Kreuzchen zu machen. Wahlzettel sollen in den "Machtbereich des Arbeitgebers" gelangt seien, werden die Gerichtsanträge zitiert. Die Wahl wurde vom Arbeitsgericht wegen schwerer Verstöße für unwirksam erklärt.
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Auswertung von E-Mails der Mitarbeitern?
Im Oktober und November 2010 sowie im Januar und Februar 2011 wertete der Discounter tausende E-Mails von Mitarbeitern aus. Netto leitete automatisch Kopien von E-Mails an die Zentrale weiter, wo sie zum Wohle der Mitarbeiter analysiert wurden.
Die offizielle Erklärung: Um überflüssige Benachrichtigungen zu identifizieren. Laut einer Unternehmenssprecherin sei dies unter "Einhaltung der gesetzlichen und datenschutzrechtlichen Vorgaben" geschehen. Zudem wurde die Maßnahme auf "ausdrücklichen" Wunsch der betroffenen Verkaufsleiter und mit derem schriftlichen Einverständnis durchgeführt.
Insider bezweifeln, dass die Verkaufsleiter eine Auswertung ihrer Post auf eigenen Wunsch angemeldet hätten, berichtet das Online-Portal der Wirtschaftswoche. Einige Verkaufsleiter hätten nämlich Kollegen und Vorgesetzte über die Aktion informiert, welche allerdings offiziell ebenfalls nicht oder erst verspätet über die automatischen Weiterleitungen informiert waren.
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Folgt man den Berichten, entsteht der Eindruck dass Netto sich erst dann wirklich um die Belange der Mitarbeiter kümmert, wenn der Druck durch Mitarbeiter oder die Öffentlichkeit groß genug ist. Und dass wohl auch jetzt noch: Laut Wiwo.de heißt es in einer E-Mail-Antwort des Netto-Managements an hilfesuchende Vorgesetzte bezüglich der neuen Ansprüche von Aushilfen auf Urlaubsgeld und anderer tarifliche Leistungen: "Wir werden nicht von uns aus und automatisch die Leistungen gewähren" "Wenn der Mitarbeiter diese aber geltend macht, kommen wir um eine Gewährung nicht umhin.“
Netto beschäftigt in rund 4.000 Filialen über 64.000 Menschen.
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Weitere Quellen:
http://www.focus.de/finanzen/news/gerichtsurteil-netto-manager-wollten-betriebsratswahlen-steuern_aid_590478.html
http://www.wiwo.de/unternehmen-maerkte/netto-wertete-tausende-mitarbeiter-mails-aus-463755/
http://www.taz.de/1/zukunft/wirtschaft/artikel/1/mehr-psycho-vom-netto/
http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,754594,00.html