Wächst Netto auf Kosten seiner Mitarbeiter?
Der Marken-Discounter Netto wächst erfolgreich. Langfristig will Deutschlands drittgrößter Discounter sogar Lidl und Aldi überholen und Marktführer werden. Dafür setzt Netto auf mehr Frische, mehr Qualität, mehr Bio und auf mehr Markenartikel. Das alles bei Discountpreisen. Damit die Rechnung trotzdem aufgeht, setzt Netto offenbar auch bei den Mitarbeitern auf "mehr": nämlich auf "mehr" Stunden pro Tag und auf "mehr" unbezahlte Überstunden. Das berichtet eine TV-Dokumentation des Südwestrundfunk.
Der SWR-Bericht wirft dem Unternehmen vor, die Mitarbeiter bis zu 20 freiwillige, unbezahlte Überstunden pro Woche leisten zu lassen. Auch auf Kosten der Steuerzahler würden die Personalkosten bei Netto gedrückt: Netto beschäftige viele junge Leute, die ihr Gehalt von der Bundesagentur für Arbeit oder von einem Bildungsträger bekommen. Netto selbst würde an diese nur einen monatlichen Zuschuss in Höhe von 200 bis 300 Euro zahlen. Zudem würden kostengünstige Lehrlinge oder Praktikanten wie Stammpersonal eingeplant und eingesetzt. Zwischenzeitlich seien die Lehrlinge bzw. Praktikanten teils sogar allein für Läden verantwortlich gewesen. Bei Netto arbeiten rund 6.000 Lehrlinge und Praktikanten. Insgesamt beschäftigt die Discounterkette über 60.000 Mitarbeiter in 4.500 Filialen.
Ein Professor für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule Koblenz spricht von einem "System Netto" mit einer "militärischen Organisationsstruktur", das "viel menschliches Leid und ausgebrannte Mitarbeiter" erzeuge. Bei Netto werde von "oben nach unten durchregiert". Eine ehemalige Mitarbeiterin und Filialleiterin hat ihre 15-jährige Erfahrung in einem Buch mit dem Titel "Ihr kriegt mich nicht klein" verarbeitet. Im TV-Bericht erläutern anonym ehemalige Mitarbeiter und Führungskräfte, von einem System in welchem unausgesprochen verlangt werde, dass man länger als bezahlt arbeitet, wenn es der Job erfordere und man diesen behalten wolle. Auch von Änderungskündigungen ist die Rede, wenn bestimmte Mitarbeiter mit der Zeit zu teuer geworden sind.
Das Unternehmen wehrt sich gegen die Vorwürfe. Netto erläutert in einer Stellungnahme, dass es zu den Unternehmensvorgaben gehöre, dass "alle zu leistenden Überstunden im Vorfeld abgesprochen sowie genehmigt und entsprechend vergütet bzw. ausgeglichen werden." Die Führungskräfte bei Netto seien angewiesen, sich an die die gesetzlich vorgegebene Arbeitszeit zu halten und geleistete Überstunden zu vergüten.
Schließlich ließen sich die im TV-Bericht geschilderten Fälle anhand der vorliegenden Unterlagen nicht nachvollziehen. Statt Steuergelder zu sparen, biete Netto jungen Menschen und dabei oftmals Ausbildungssuchenden, die sich sonst nur schwer Arbeitsmarkt integrieren können, im Rahmen des EQJ-Programms eine Chance. Ein großer Teil der Teilnehmer dieses Programms erhalte anschließend einen festen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz. Netto sieht sich vielmehr als Unternehmen, dass großen Wert auf einen partnerschaftlichen und offenen Umgang legt und somit auch als fairer Arbeitgeber.